Der Potsdamer Politologe Prof. Heinz Kleber über Toleranz und das Konzept "Tolerantes Brandenburg"

Die Verschiedenheit anerkennen

Seit 1998 gibt es in Brandenburg das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg – gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit“. Professor Heinz Kleger von der Universität Potsdam hat nun eine Bilanz des Programms vorgelegt („Toleranz und ‚Tolerantes Brandenburg'“, LIT-Verlag, ISBN 3-8258-9242-5). Die PNN sprachen mit dem Politikwissenschaftler.

Herr Kleger, wie fällt Ihr Fazit nach sieben Jahren Handlungskonzept aus?

Das „Tolerante Brandenburg“ war in vielem Vorläufer und Vorbild für andere Länder, was etwa die „Mobilen Beratungsteams“ angeht oder die Opferberatung. Es ist als anspruchsvolles Handlungskonzept leider noch immer zu wenig bekannt und geschätzt. Vor allem die Politik müsste ihm einen größeren Stellenwert im Land geben. Sicherheitsoffensive und Tolerantes Brandenburg dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Die Gelder für Toleranz-Projekte werden zurückgefahren. Wird da am falschen Ende gespart oder haben die Brandenburger schon alles gelernt, was es zum Thema Toleranz zu lernen gibt?

In den letzten Jahren gab es zwei für Ostdeutschland sehr wichtige und erfolgreiche Bundesprogramme: das gegen Rechtsextremismus und das für die soziale Stadt. Beides müsste man noch stärker miteinander verbinden. Im neuen Koalitionsvertrag wird jedoch das Bundesprogramm Civitas, Xenos und Entimon nicht beim Namen genannt. Dazu kommt eine unheilvolle Vermischung der Programme mit dem Kampf gegen andere Extremismen wie den Linksextremismus und neuerdings auch den Islamismus. Abgesehen davon, dass dies die Fokussierung auf den Rechtsextremismus schwächt, weisen linke und islamistische Extremismen in Ostdeutschland nicht die gesellschaftliche Verankerung auf, wie die eher noch zunehmenden rechtsextremen Einstellungen.
Haben Toleranz-Projekte denn eine Chance gegen rechte Propaganda?

Toleranzprojekte haben durchaus eine Chance gegen rechte Propaganda, das beweisen tagtäglich zahlreiche Aktivitäten an Schulen und in Kommunen. Allerdings braucht es hier eine Verstetigung und mehr Personen sowie gute Argumente. Auf keinen Fall darf man die Jugendlichen damit langweilen.

Kann Brandenburg mit seinem Toleranz-Ansatz Vorbild sein oder kopieren wir nur, was andere schon längst versucht haben?

Ich halte das Handlungskonzept mit seinen zahlreichen Elementen und Maßnahmen und vor allem durch das Zusammenspiel von starkem Rechtsstaat und Bürgergesellschaft geradezu für modellhaft. Ich bin allerdings enttäuscht über die mangelnde Kenntnis und Unterstützung durch die tatkräftigen Politiker, die immer sofort messbare Lösungen haben wollen. Diese Instant-Politik hilft leider gar nicht, die langfristigen gesellschaftlichen Probleme zu lösen.

Sie haben ein Buch über Toleranz in Brandenburg geschrieben. Was ist eigentlich Toleranz?


Toleranz, wie wir sie heute verstehen, ist eine Erfindung der Aufklärungsphilosophie, um Fundamentalkonflikte friedlich zu lösen. Sie erkennt das Faktum der Pluralität und Verschiedenheit an. Und sie ist fähig, die Wahrheit auch in der Schwebe zu halten. Welterfahrung und Weltoffenheit gehören zu dieser Toleranz und bedingen sie.

Welche Rolle spielt die Tradition der Toleranz in Brandenburg?


Brandenburg-Preußen war schon ein Einwanderungsland vor den klassischen Einwanderungsländern wie USA, Kanada, Australien und Neuseeland. Zudem gab es im 18. Jahrhundert eine Berliner Aufklärung, welche die jüdische Aufklärung einschloss. Kant und Mendelssohn gehörten dazu. Man kann also hier sowohl von der Geistesgeschichte wie auch von der Sozialgeschichte her große Schätze heben, von denen wir uns noch immer einen Teil abschneiden können.

Herr Schönbohm moniert bisweilen einen Werteverlust in der DDR. Hatten die Brandenburger nach 1990 in Sachen Toleranz Lernbedarf?


Ja, die DDR-Sozialisation war für Freiheit und Toleranz, die zusammen gehören, nicht günstig. Die Abweichungstoleranz gegenüber den Einzelnen und ihrer Freiheit waren gering. Was vor allem zählte, war das Kollektiv. Zudem gab es eine verbreitete Aversion gegen alles Fremde und Fremdartige.

Wie sieht es heute aus mit der Toleranz in Brandenburg?


Leider sind fast wöchentlich Übergriffe in den Schlagzeilen. Man kann die Negativwirkungen solcher Meldungen gar nicht überschätzen. Mit der demokratischen Revolution von 1989 ist indessen die Toleranz gewachsen, und es gibt einen Konsens der Demokraten, mit den Handlungskonzepten gegen Rechtsextremismus fortzufahren. Dieser Konsens ist sehr wertvoll und darf nicht verspielt werden.

Hilft die von der Union immer mal wieder ins Spiel gebrachte Patriotismusdebatte?

Die Patriotismusdebatte sollte man offensiv aufnehmen und in eine Debatte über die verfassungsdemokratische Bürgergesellschaft verwandeln. Die Brandenburgische Verfassung, die durch Volksentscheid angenommen worden ist, ist die verbindlichste Ebene für eine solche Wertedebatte. Eine solche Debatte ist mehr als ein Diskurs. Sie ist eine ständige demokratische Diskussion, an der potentiell alle beteiligt sind, denn Werte haben auch eine wichtige Erfahrungsgrundlage.

Das Interview führte Bodo Baumert (Potsdamer Neueste Nachrichten)

Prof. Heinz Kleger hat an der Universität Potsdam die Professur für Politische Theorie inne. Unlängst erschien von ihm das Buch „Toleranz und ‚Tolerantes Brandenburg’“.


Anschrift:

Koordinierungsstelle „Tolerantes Brandenburg“
in der
Staatskanzlei des Landes Brandenburg
Heinrich-Mann-Allee 107
14473 Potsdam