Würste für Wählerstimmen - Wie die NPD die Jugend ködert

Dokumentation des ZDF - Mediathek - Lockruf der NPD

"Man muss damit rechnen, dass sich die NPD in manchen Regionen, insbesondere in Ostdeutschland, festgesetzt hat". Das sagt Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, im ZDF-Interview. Mit Volksnähe auf regionalen Festen wirbt die Partei für Sympathie - eine Strategie, die "durchaus von gewissem Erfolg gekrönt ist", warnt Fromm.

von Martin Cordes, 09.08.2006

ZDF: Die NPD zeigt sich zurzeit vor allem als Partei der Volksfeste. Kaum mehr eine Veranstaltung der NPD ohne Würstchenstand, ohne Hüpfburg, ohne Wurfbuden - welche Strategie verfolgt die NPD damit?
 
Heinz Fromm: Die NPD hat die Absicht, zumindest regional, insbesondere dort, wo Wahlen anstehen, im Alltagsleben der Menschen präsent zu sein, wahrnehmbar zu sein, um dort für sich um Sympathie zu werben und dann eben auch am Ende das politische Programm darzustellen. Und das versucht sie mit solchen Volksfesten, bei denen es Würstchen gibt, bei denen für die Kinder etwas angeboten wird und bei denen dann eben auch die Partei, zumindest ansatzweise, mit ihrer Programmatik erkennbar ist. Das ist eine Sache, die wir schon seit längerem sehen und die durchaus von gewissem Erfolg gekrönt ist.
 
ZDF: Hat sie tatsächlich Erfolg mit dieser Strategie, eher unpolitisch aufzutreten und dann die Ideologie vielleicht erst später nachzureichen?
 
Fromm: Anscheinend ist dieses Vorgehen durchaus erfolgreich, wenn auch nicht in dem Sinne, dass nun da große Mehrheiten bei Wahlen erzielt werden. Aber es ist längerfristig angelegt, man möchte präsent sein, man möchte als politischer Faktor, der auf Dauer aktiv ist, sichtbar werden. So gesehen ist das durchaus ein erfolgreiches Konzept. Auch wenn es keine kurzfristigen Erfolge sind, aber die Wahl oder das Wahlergebnis im Herbst 2004 in Sachsen - was ja spektakulär war, über neun Prozent - ist sicherlich auch auf solche "Basisarbeit" zurückzuführen.
 
ZDF: Es gibt diese alte NPD-Strategie des "Kampfes um die Köpfe" und des "Kampfes um die Straße". Wenn jetzt Hüpfburgen und Grillfeste den Kampf um die Köpfe ausmachen, wie sieht es denn mit dem Kampf um die Straße aus? Wo liegen da im Moment die Schwerpunkte?
 
Fromm: Der Schwerpunkt liegt aktuell sicherlich beim Kampf um die Köpfe, beim Kampf um Wähler, wenn man so will. Die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, von der sich die NPD verspricht, dass sie sie mit Erfolg bestehen wird, das heißt, dass sie in den Landtag einziehen wird - was keineswegs sicher ist, aber wofür es eine gewisse Chance aus unserer Sicht gibt - das steht im Vordergrund der politischen Aktivitäten. Aber das andere findet weiterhin statt.
Also man beteiligt sich durchaus an Demonstrationen oder führt selber welche durch. Das ist immer wieder so. Gemeinsam mit Neonazis werden solche Dinge gemacht, fortlaufend eigentlich. Oder auch die Veranstaltung von Konzerten verbunden mit politischen Aktivitäten. Auch das ist eine Möglichkeit, insbesondere junge Leute anzusprechen. Beides findet parallel statt. Aber wie gesagt: Im Vordergrund steht zurzeit der Blick auf die Wahlen in Mecklenburg, und - das darf man ja nicht vergessen - auch die Wahlen in Berlin spielen eine Rolle.
 
 
ZDF: Die NPD bemüht sich ja vor allen Dingen um junge Leute, welche Rolle spielt dabei die Musik?
 
Fromm: Die Musik spielt im Bereich des Rechtsextremismus eine ganz entscheidende Rolle seit einigen Jahren. Das heißt, es gibt eine Musikszene, es gibt eine subkulturelle Szene, in der der entscheidende Faktor diese Skinhead-Musik ist, wie wir sie bezeichnen. Solche Konzerte finden häufig statt, oft sehr konspirativ vorbereitet, sodass es schwer ist, im Vorfeld solche Dinge auch zu unterbinden für die Versammlungsbehörden. Auch für uns ist es durchaus schwierig, rechtzeitig festzustellen, wann solche Planungen stattfinden. Das wird sehr verdeckt vorbereitet.
Das ist zum einen ein Event für junge Leute, manchmal noch für Kinder, die das gut finden, und auch den provozierenden Charakter der Musik und der Texte schätzen. Das ist bei weitem nicht die Mehrheit der jungen Leute, die das attraktiv finden. Aber doch ein erheblicher Teil fühlt sich dadurch angezogen. Solche Dinge finden des öfteren statt, und die Zahl der Konzerte hat im vergangenen Jahr deutlich zugenommen. Und wir rechnen damit, dass dieser Trend sich fortsetzen wird. Das ist eine attraktive Sache für viele und ist sozusagen das Tor, durch das junge Leute gelockt werden, um dann womöglich am Ende in Neonazi-Kameradschaften oder auch bei der NPD zu landen.
 
ZDF: Wie ist die Qualität der Texte zu beurteilen?
 
Fromm: Das ist sehr unterschiedlich. Manche der Texte sind strafrechtlich relevant, die haben volksverhetzenden Charakter. Wenn so etwas bei Konzerten geboten wird, oder wenn es vertrieben wird in Form von CDs, gibt es auch strafrechtliche Ermittlungen, immer wieder auch durchaus Verurteilungen. Es gibt aber auch Texte, die nicht sehr geschmackvoll sind, die aber strafrechtlich nicht relevant sind. Die NPD - um noch mal auf die Partei zurück zu kommen - die NPD bemüht sich, nur solche Musik zu vertreiben oder auf ihren Veranstaltungen zuzulassen, die strafrechtlich nicht relevant ist, sodass sie sich nicht strafrechtlicher Verfolgung aussetzt. Aber vielfach werden auch volksverhetzende Texte dargeboten.
 
ZDF: Vor rund zwei Jahren hat die NPD zur Sammlung aller rechtsextremen nationalistischen Kräfte aufgerufen, Stichwort "Volksfront von rechts". Wie tragfähig sehen Sie jetzt, zwei Jahre später, dieses Bündnis der Rechtsextremen?
 
Fromm: Die "Volksfront von rechts", also dieses Bündnis insbesondere zwischen NPD und DVU, gibt es jetzt schon zwei Jahre. Das heißt, es ist keine Eintagsfliege gewesen. Es ist nicht eine flüchtige Erscheinung gewesen, sondern es trägt ganz offenbar. Wie lange das gut geht, das ist eine ganz andere Frage. Das hängt sehr stark davon ab, ob diejenigen, die bei Wahlen antreten, dann auch Erfolg haben. Wobei Erfolg sich definiert nicht nur am Einzug in einen Landtag oder in ein kommunales Parlament, sondern an den Erwartungen - an den Erwartungen, die man vorher haben kann aufgrund von Umfragen und Einschätzungen. Man ist durchaus bescheiden. Aber das Minimalziel bei Landtagswahlen ist doch immer, ein Prozent der Stimmen zu bekommen, um in den Genuss staatlicher Wahlkampffinanzierung zu gelangen. Das ist das Minimalziel, was erreicht wird und was angestrebt werden soll. Und das hat man auch verschiedentlich geschafft. Solange das der Fall ist, wird das Bündnis tragen.
Auf der anderen Seite muss man sehen, dass NPD und DVU - und wenn man die Neonazi-Kameradschaften, die ja da auch involviert sind, mitbetrachtet - dass das unterschiedliche Gruppierungen sind, die in ihrer Ideologie und auch in ihrem Aktionsverhalten sich deutlich unterscheiden. Daraus folgt, dass dieses Bündnis auch ein beachtlicher Spagat ist. Das heißt, da gibt es Spannungen, da gibt es Konkurrenzen, man ist sich nicht einig, was nun der richtige Weg ist, was die richtigen Methoden sind. Und von daher ist - wenn der Erfolg ausbleibt - dieses Bündnis dann voraussichtlich auch zu Ende.
 
ZDF: Trotz einer gewissen Professionalisierung der Arbeit - zum Beispiel rund um die Dresdner Landtagsfraktion - treten bei NPD-Veranstaltungen immer wieder Personen auf, die bei anderen Parteien nicht sehr weit kommen würden. Wie beurteilen Sie die Qualität des NPD-Personals?
 
Fromm: Das Personal, das die NPD vertritt und das die Partei öffentlich auftreten lässt, ist nicht durchgängig so, dass man sagen kann, das sind professionelle Politiker. Oder auch nur qualifizierte Leute, die in der Lage wären, die Dinge in der Öffentlichkeit in angemessener Weise darzustellen, so wie wir das von anderen Parteien gewohnt sind. Das ist aber kein so neues Phänomen, dass in kleinen extremistischen Gruppierungen oder Parteien sich Leute zusammenfinden, die - so will ich das mal mit einem Fremdwort bezeichnen - mitunter etwas erratisch agieren. Die also wenig konsistent in ihrem Verhalten sind, und bei denen man nicht das Gefühl hat, dass sehr viel dahinter ist. Das ist eigentlich ganz typisch.
Auf der anderen Seite muss man sehen, dass die NPD durchaus aber auch über Personal verfügt, was höhere Anforderungen erfüllt. Wir sehen im Umfeld der sächsischen Landtagsfraktion Leute, die aus dem Westen Deutschlands dorthin gegangen sind, die durchaus in der Lage sind, politische Programme zu formulieren, sich Strategien auszudenken und das dann auch umzusetzen. Aber davon gibt es nicht sehr viele. Die Mitarbeiter der sächsischen Landtagsfraktion, die ich eben beschrieben habe, sind zum Beispiel bundesweit auch tätig für die Partei. Sie beteiligen sich auch an dem jetzt aktuellen Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin. Von daher muss man davon ausgehen, dass die NPD nicht über große personelle Ressourcen verfügt und dann in der Lage wäre, sozusagen flächendeckend ein Personalangebot zu haben, was normalen Anforderungen an politische Aktivitäten genügt.
 
ZDF: Seit zehn Jahren hat die NPD bei Wahlen überwiegend zugelegt. Sie steht heute, wenn sie antritt, immer erfolgreicher da als etwa Mitte der 90er. Ist im gleichen Zeitraum die Qualität des Personals gewachsen oder gibt es immer noch die gleichen Defizite wie vor zehn Jahren?
 
Fromm: Wenn man die Situation heute, was das Personal angeht, mit der vor zehn Jahren vergleicht, kann man schon sagen, dass einige Leute hinzugekommen sind, die sich von der NPD offenbar angezogen fühlten. Leute, die durchaus in der Lage sind, politische Konzepte zu entwickeln und eine gewisse Qualität auch aufweisen. Das kann man schon sagen. Die NPD war Mitte der 90er Jahre eine Partei, die noch 3500 Mitglieder hatte. Dann hat es eine neue Strategie gegeben '96/'97, es hat einen neuen Vorsitzenden gegeben. Das hat zu einem Mitgliederzuwachs geführt und darunter waren eben auch Leute, die gewisse Qualitätsmerkmale aufgewiesen haben.
 
ZDF: Die NPD scheint sich in manchen Regionen als echter politischer Faktor festgesetzt zu haben. Täuscht dieser Eindruck? Oder wird man mit der NPD auf lange Sicht rechnen müssen?
 
Fromm: Man muss damit rechnen, dass die NPD sich in manchen Regionen, insbesondere in Ostdeutschland, festgesetzt hat. Dort wird Basisarbeit betrieben, man beteiligt sich an kommunalen Wahlen, man präsentiert Leute, die in den örtlichen Gemeinschaften etabliert sind, die aus ortsansässigen Familien stammen, die anerkannt sind. Das ist ein Phänomen, was wir an einzelnen Orten auch in Westdeutschland gesehen haben in den zurückliegenden Jahren. Das gibt es auch hier, da und dort, auch wenn das wirklich Ausnahmen sind. In Sachsen etwa ist das sehr viel deutlicher erkennbar. Und das ist ein Grund für den Wahlerfolg gewesen - nicht der alleinige Grund, aber es ist die Basis sozusagen für den Erfolg. Das hat die NPD erkannt. Sie arbeiten da durchaus kontinuierlich und versuchen, die Leute vor Ort in ihrem Lebensumfeld anzusprechen und für sich zu gewinnen. Und das ist durchaus nicht ohne Erfolg geblieben. Ob das so weiter geht, ist schwer zu beantworten. Sie werden es zumindest versuchen und sie werden dann Erfolg haben, wenn dem nichts entgegengesetzt wird.
Wenn dem die Gesellschaft, auch die Politik natürlich, nichts entgegensetzt. Etwa, wenn es darum geht, jungen Leuten eine Perspektive zu geben oder einfacher, jungen Leuten ein Freizeitangebot zu machen, ein kontinuierliches Freizeitangebot zu machen. Also Vereinsstrukturen zu etablieren. Feuerwehren - das ist immer so das Beispiel - Jugend-Feuerwehren sind eine attraktive Sache für viele Jugendliche, das hat sich an vielen Stellen gezeigt. Und diejenigen, die sich dort betätigen, haben überhaupt kein Interesse, auf das Angebot solcher Extremisten einzugehen. Aber daran fehlt es an vielen Stellen und daraus resultiert dann durchaus auch ein Erfolg und man bindet am Ende Leute an sich, die dann der Partei beitreten oder sie zumindest wählen, von Zeit zu Zeit wählen. Und das ist ein Beitrag, ein Mosaikstein, um auch nachhaltig in der Politik, etwa in Länderparlamenten, präsent sein zu können.
 
 
Heinz Fromm  
 
Heinz Fromm leitet seit Juni 2000 als Präsident das Bundesamt für Verfassungsschutz. Der Jurist aus Hessen, der zuvor bereits Direktor des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz war, beschäftigt sich intensiv unter anderem mit Rechtsextremismus in Deutschland  


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